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Beihilfe zur Hungersnot

Rüstungsexport aus Wolgast

Bericht von german-foreign-policy am 24.07.2017
Die Bundesrepublik setzt entgegen anderslautenden Ankündigungen die Aufrüstung Saudi-Arabiens fort und beliefert die saudische Küstenwache mit Patrouillenbooten. Vergangene Woche sind zwei solche Boote aus der Wolgaster Peene-Werft nach Saudi-Arabien ausgeschifft worden; sie sind Teil eines rund 1,5 Milliarden Euro umfassenden Deals, der die Lieferung von mehr als 100 Booten an die Küstenwache sowie die Marine des Landes umfasst. Hauptauftragnehmer ist die Bremer Lürssen-Werft.
Die Lieferung erfolgt, obwohl Riad im Jemen einen weltweit heftig kritisierten Krieg führt und das Land mit einer Seeblockade abschottet, die eine verheerende Hungersnot ausgelöst hat und eine grassierende Cholera-Epidemie verschärft. Für die Seeblockade kann Saudi-Arabien vermehrt auf deutsche Patrouillenboote zurückgreifen. Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer aktuellen Untersuchung bestätigt, begünstigt der auch mit deutschen Waffen geführte Krieg Saudi-Arabiens im Jemen nicht zuletzt Al Qaida; das US-Verbot, Laptops auf bestimmte Passagierflüge mitzunehmen, geht mutmaßlich auf Anschlagspläne der erstarkenden Al Qaida im Jemen zurück.

Der 1,5-Milliarden-Euro-Deal

In der vergangenen Woche hat die Auslieferung zweier Patrouillenboote aus deutscher Produktion an Saudi-Arabien begonnen. Wie berichtet wird, hat ein Frachter der Reederei Briese aus Leer die beiden Boote in Wolgast an Bord gehievt, wo sie auf der im Dezember 2012 von Lürssen übernommenen Peene-Werft gebaut wurden; er wird sie nun in einen Hafen am Roten Meer bringen. Die beiden Exemplare sind für die saudische Küstenwache bestimmt; sie erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu 40 Knoten, sind bisher nur leicht bewaffnet, können aber jederzeit mit Lenkwaffen nachgerüstet werden.[1] Ein Patrouillenboot ist bereits im November 2016 ausgeliefert worden, ein zweites und ein drittes folgten im April 2017; laut unbestätigten Berichten sollen noch dieses Jahr zehn weitere nach Saudi-Arabien ausgeschifft werden. Sie sind Teil eines Geschäfts, das auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro beziffert wird und bei dem die Bremer Lürssen-Werft als Hauptauftragnehmer fungiert. Nach Angaben in Fachmedien hat Lürssen in den Bau der über 100 von Riad bestellten Boote auch französische (Kership, Couach), italienische (Fincantieri) und spanische (Freire, Rodman) Marinefirmen eingebunden.[2] Empfänger ist – neben der saudischen Küstenwache – auch die saudische Marine.

Nur Makulatur

Die Auslieferung der Patrouillenboote zeigt, dass Medienberichte von Ende April Makulatur sind, denen zufolge Saudi-Arabien „keine deutschen Waffen mehr kaufen“ wolle.[3] In diesem Sinne waren Äußerungen des saudischen Vize-Wirtschaftsministers Mohammed al Tuwaijri interpretiert worden, der gesagt hatte, Riad wolle „der deutschen Regierung keine Probleme mehr bereiten mit immer neuen Wünschen nach Waffen“. Tatsächlich wird weiter geliefert; auch genehmigt die Bundesregierung neue Exporte. So hat der Bundessicherheitsrat wenige Tage vor der Ausschiffung der beiden Lürssen-Patrouillenboote nicht nur diese, sondern auch die Lieferung von 110 Lastkraftwagen sowie von „militärischen Werkzeugen und Ausrüstung“ mit einem Wert von 8,9 Millionen Euro erlaubt.[4] Die zehn weiteren Boote, die noch dieses Jahr ausgeliefert werden sollen, benötigen dafür ebenfalls ein Votum des Bundessicherheitsrats.

Granaten für Riad

Hinzu kommt, dass deutsche Rüstungsfirmen Saudi-Arabien auch über auswärtige Standorte beliefern. So sind die zu einem guten Teil in Deutschland produzierten 72 Eurofighter, die Saudi-Arabien auch im Krieg im Jemen einsetzt, rein formell von dem britischen Mithersteller BAE Systems an Riad verkauft worden. Zudem hat etwa die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall über ihren italienischen Ableger Rheinmetall Italia sowie ihre italienische Tochterfirma RWM Italia in den Jahren 2014 und 2015 Rüstungsprodukte im Wert von 71,5 Millionen Euro an Riad verkauft.[5] All dies ist in den deutschen Rüstungsexportberichten nie aufgetaucht. Dasselbe gilt für eine Munitionsfabrik, die im vergangenen Jahr in Al Kharj südöstlich von Riad eröffnet wurde. Das 240 Millionen US-Dollar teure Werk ist unter Einbindung des südafrikanischen Munitionsproduzenten Rheinmetall Denel Munition (RDM) errichtet worden, an dem Rheinmetall mit 51 Prozent die Mehrheit hält. Die Abfüllanlage in Al Kharj basiert auf einer Lizenz der RDM, die sich zudem als Zulieferer betätigt. „Pulver, Hülsen und Zünder werden von RDM bezogen und dann in Saudi-Arabien abgefüllt“, heißt es in einem Bericht: „Pro Tag können so 300 Artilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten produziert werden.“[6]

Zerstörtes Land

Der Krieg, den Saudi-Arabien – unter Nutzung deutscher Waffen – gemeinsam mit mehreren verbündeten Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate [7], seit inzwischen zwei Jahren und vier Monaten im Jemen führt, verwüstet das Land immer weiter. Die saudische Kriegskoalition habe ihre Ziele längst „von rein militärischen auf die gesamte Infrastruktur“ ausgeweitet, „so dass Häfen, Elektrizitätswerke, Straßen und Brücken zerstört wurden“, heißt es etwa in einem soeben veröffentlichten Bericht der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[8] „Hinzu kamen zahlreiche Angriffe auf Krankenhäuser“; dadurch sei „die ohnehin prekäre Gesundheitsversorgung des Jemen stark beeinträchtigt“ worden. Die Bombardierung eines Hospitals der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im August 2016, bei dem 19 Menschen zu Tode kamen, sei offenbar nur einer von vielen ähnlichen Fällen gewesen, heißt es weiter; „Attacken auf weitere zivile Ziele aller Art wie etwa Lebensmittelfabriken“ seien „an der Tagesordnung“ gewesen, „so dass die jemenitische Wirtschaft vollkommen zusammenbrach“. Bereits im Januar hatten die Vereinten Nationen gemeldet, die Zahl der zivilen Todesopfer des Krieges im Jemen habe mittlerweile 10.000 überschritten.[9]

Hunger und Cholera

Hinzu kommen katastrophale Folgen der saudischen Seeblockade, zu deren Durchsetzung Riad auch auf seine Küstenwache zurückgreift, die ihrerseits schon jetzt deutsche Patrouillenboote nutzt und aktuell mit weiteren Lürssen-Booten aufgerüstet wird. Unter dem Vorwand, die Huthi-Milizen im Jemen von Waffenlieferungen abschneiden zu wollen, hat Riad faktisch auch die Versorgung des Landes mit Nahrung und Medikamenten sowie dringend benötigte Hilfslieferungen in empfindlichem Ausmaß gestoppt; die Folge ist eine Hungerkatastrophe. Mittlerweile leiden, wie die Vereinten Nationen mitteilen, 17 Millionen der insgesamt 27,5 Millionen Jemeniten – zwei Drittel der Bevölkerung – an Hunger; 6,8 Millionen Jemeniten leiden sogar an „extremem Hunger“. Eine Million schwangere oder stillende Frauen sind akut unterernährt; über eine halbe Million Kinder sind akut vom Hungertod bedroht. Verschlimmert wird die Lage durch eine grassierende Cholera-Epidemie, die durch die Zerstörung der medizinischen und der sonstigen Infrastruktur sowie durch die blockadebedingt unzulänglichen Hilfsmöglichkeiten dramatisch eskaliert ist. Experten stufen sie als die schlimmste weltweit ein. Ihr sind inzwischen fast 2.000 Menschen zum Opfer gefallen; die Zahl der Verdachtsfälle wird von Hilfsorganisationen mit mehr als 360.000 beziffert.[10]

Terror

Experten weisen darauf hin, dass der saudische Krieg im Jemen jenseits der Verwüstungen, die er anrichtet, den jihadistischen Terror stärkt. Wie die SWP konstatiert, hat die jemenitische Al Qaida nicht nur – ermöglicht durch die frühen Wirren des saudischen Jemen-Kriegs – fast ein Jahr lang die südjemenitische Hafenstadt Mukalla, eine Großstadt mit 300.000 Einwohnern, kontrolliert und dabei „große Waffenarsenale und viel Geld“ erbeutet.[11] Sie sei auch weiterhin in Teilen des Landes stark präsent und werde von Riads jemenitischen Verbündeten „nicht als Feind betrachtet“, weil sie sich am Kampf gegen den gemeinsamen Gegner – die Huthi – beteilige, erläutert die SWP. Diese Konstellation ermöglicht es ihr offenbar, wieder zu erstarken. Zwar sei sie gegenwärtig vor allem mit dem Krieg im Jemen befasst, heißt es bei der SWP; doch sei in Zukunft auch wieder mit Terroranschlägen auf westliche Ziele zu rechnen. Der Think-Tank weist darauf hin, dass das Verbot, auf bestimmten Flügen in die Vereinigten Staaten Laptops zu nutzen, mutmaßlich auf die Furcht vor Anschlägen mit Hintergrund im Jemen zurückgeht: In den USA kursiere offenbar die Vermutung, Laptop-Akkus könnten mit Sprengstoff befüllt werden; „Anschlagsversuche dieser Art“ jedoch seien „bisher vorwiegend von der jemenitischen al-Qaida“ ausgegangen. Saudi-Arabien, dessen Krieg im Jemen das Erstarken der dortigen Al Qaida begünstigt, ist ein zentraler Partner Berlins am Persischen Golf und ein privilegierter Empfänger deutschen Kriegsgeräts.