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Krieg um die Köpfe

GÜZ und KIT – War-starts-here

am 23. Juli 2017 in der neuen Rheinischen Zeitung

Von Dietrich Schulze

Über den bundesweiten Zivilklausel-Verteiler gelangte am 13. Juli [1] eine spannende Anfrage des Camp-Org „War-start-here Camp 2017“ an die Zivilklausel-Aktiven mit dem Angebot, einen Zivilklausel-Workshop in das Programm des Protest-Camps vom 31. Juli bis 6. August aufzunehmen. GÜZ ist die Abkürzung für Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr mit der Kriegsübungsstadt Schnöggersburg in der Altmark Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt [2]. Meine spontane Antwort darf ich hier wiederholen: Seit einiger Zeit doktert die Zivilklausel-Bewegung an einem bislang nicht erfolgreichen Uni-Sommer-Meeting.

Die Teilnahme am War-starts-here-Camp ist in einem 3-fachen Sinne eine ideale Zwischenlösung für das geplante Meeting:

  1. Hier kann die Gemeinsamkeit verschiedener Ebenen der Militarisierung erlebt werden.
  2. Hier können von mutigen Menschen Anregungen für die an manchen Hochschulen brach liegenden Zivilklausel-Aktivitäten gesammelt werden.
  3. Hier handelt es sich um eine Heide im Sommer – ein Urlaubstraum – allerdings für einen kämpferischen Traum.

Meine Bitte an die Aktiven aufgrund unseres Zivilklausel-Arbeitstreffens Ende 2016 an der Hochschule Bremen wegen des dortigen Ziviklausel-Verstosses – zur Erinnerung für alle hier der Report [3]. Bitte gewinnt TeilnehmerInnen aus den Hochschulen zumindest für den 2. August im Camp. Hier die Planung: – Wie steht es um Abschiebungen? solidarity MD – Deutschlands neue Großmachtspolitik / Jürgen Wagner, IMI – Nuklear-Debatte: braucht die BRD einen eigenen Zugriff auf die Bombe? – Zivilklausel.

Dieser Artikel soll für alle Teilnehmenden die Bedeutung der Zivilklausel-Bewegung incl. des aktuellen Sachstands vermitteln als auch die Gründe und Abgründe der gemeinsamen Anstrengungen gegen die fortschreitende Militarisierung beleuchten.

Workshop Zivilklausel

Gehen wir gleich in media res. Das Camp-Orga hatte mich aufgrund meiner positiven Rückmeldung gebeten, einen Zivilklausel-Teaser für die Workshop-Liste [4] zu formulieren. Hier ist er:

„Krieg um die Köpfe“ – Hochschul-Zivilklauseln vertiefen

»Die Brüsseler EU-Kommission will eine stärkere Zusammenarbeit bei der Rüstung. Ab 2021 sollen jedes Jahr 5,5 Milliarden Euro fließen. Die Hochschulen werden demzufolge noch stärker in Rüstungsforschung und entsprechende Kooperationen eingespannt. Seit 2008 hat sich eine wachsende Bewegung für Zivilklauseln an den Hochschulen gebildet mit dem Ziel, Hochschulen frei von militärischer Forschung und Lehre zu machen und zivile Lehrstühle wie zur Rüstungskonversion einzurichten. Jüngstes Gegenbeispiel die Hochschule Bremen mit einer Bundeswehr-Kooperation in der Informatik-Lehre. Der Protest dagegen wird fortgesetzt. Weitere Aktivitäten gegen die Militarisierung sollen im Camp besprochen werden. Ein Zeichen der Hoffnung auf Verbreiterung des gemeinsamen Widerstands, dass das Thema Zivilklausel erstmals im War-starts-here-Camp aufgegriffen wird.«

Ausflug von Karlsruhe

Was soll der Beginn der Titelzeile heißen? Das hat einen doppelten Sinn. Von Karlsruhe ging tatsächlich die Zivilklausel-Bewegung neueren Datums mit einer studentischen Urabstimmung im Januar 2009 an der Uni Karlsruhe aus. 63 % der abstimmenden Studierenden waren für die Übernahme einer Zivilklausel für den Zusammenschluss Uni und Forschungszentrum zum KIT (Karlsruher Institut für Technologie) »Das KIT verfolgt nur friedliche Zwecke.« Der Autor war an den Vorbereitungen selber heftig beteiligt. Der zweite Bezug ist die in Karlsruhe aufgrund der genannten Aktivitäten entstandene „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“ (siehe logo in der Bildcollage oben). Die Web-Doku dieser Zivilklausel-Ini ist die ergiebigste und chronologisch simpel gegliederte Informationsquelle zur Zivilklausel und ihrem Umfeld überhaupt (s. Impressum). Ein weltweites Unikat für die Freiheit der Wissenschaften. Zur Thematik „Freiheit der Wissenschaft“ im Kontext der Zivilklausel ein hochaktueller Grundsatz-Vortrag des Autors von 2012 [5].

WebDoku und Schnöggersburg

Hier die praktische Anwendung für den behaupteten Charakter der WebDoku. Urteilen Sie selbst: Zehn Einträge über die Proteste gegen das GÜZ seit 2013 wurden erstellt [6].

Im ND-Beitrag über das Camp vor 3 Jahren hieß es: »Eine Woche lang stehen Arbeitsgruppen zu Themen wie Militär und Rüstung, der Umsetzung der Zivilklausel an den Hochschulen bis hin zu zivilen Lösungen im Afghanistankonflikt auf dem Programm.«

Die vermutete Erstmaligkeit der Zivilklausel-Thematik im Camp muss demnach bezweifelt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Leser daran erinnern.

Präzedenzfall Bremen

Wie bereits erwähnt, hat die Hochschule Bremen am 3. Mai 2016 klammheimlich unter Verstoß gegen die eigene Zivilklausel und gegen die Zivilklausel im Bremer Landesgesetz einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr abgeschlossen.  Der vielfältige Protest hat zu einem Rechtsgutachten von Dr. Hoppe beigetragen, das hier [7] studiert werden kann. Im Herbst 2016 hatte sich eine Zivilklausel-Arbeitsgruppe gebildet, die den Präzedenzfall des Verstoßes ins öffentliche Bewusstsein gerufen hat. Wenn dieser Verstoß nicht rückgängig gemacht wird, können sich andere Zivilklausel-Gegner darauf berufen und somit  a l l e bestehenden ca. 30 Zivilklauseln kaputt machen. Alle Bemühungen sind seit 14 ½ Wochen ergebnislos. Die Zivilklausel-Bewegung hat diesen strategischen Unglücksfall noch nicht korrigieren können. Offensichtlicher Gegenstand der Workshop-Beratungen.

KIT Rüstungsverwicklung

Was hat es denn konkret mit der Benennung von KIT unter der Schlagzeile War-starts-here auf sich? Dazu bittet der Autor um Lektüre seines Beitrags im BdWi-Forum von 2013 [8]. Unter dem Titel »’Freiheit der Wissenschaft‘ und Kriegsforschung« wird die Auseinandersetzung um die Zivilklausel in Baden-Württemberg und die Schlüsselrolle von Uni und KIT Karlsruhe analysiert. Der Artikel endet mit der Karlsruher Tagung im Juni 2012 „Jetzt Entrüsten! Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder Kriegs»Dienstleister«? mit dem genialem Motto »Mit den Waffen des Geistes – Gegen den Geist der Waffen«. Das war und ist der Leitgedanke des Münchener Holocaust-Überlebenden und Antifaschisten Martin Löwenberg.

Nun sind mehr als 4 Jahre mit einer Vielzahl von Zivilklausel- uns Antirüstungs-Aktivitäten im Kontext mit dem KIT vergangen. Das wirklich Herausragende: Die Studierenden halten an ihrem Beschluss von 2009 fest und fordern die einheitliche Zivilklausel für das ganze KIT. Sie protestieren gegen offene und verdeckte Kriegsforschung am KIT. Auf Initiative des Studentenparlaments hat der AStA am 12. Juni [9] einen Beschluss mit folgenden Forderungen und Begründungen an das KIT-Präsidium gefasst:

  • Offenlegung der die finanziellen, inhaltlichen und personellen Verflechtungen des KIT- Lehrstuhls für Interaktive Echtzeitsysteme (IES) mit dem Fraunhofer-Institut IOSB.
  • Inwiefern sind öffentliche Mittel in militärische Forschung des IOSB geflossen.
  • Hintergrund: Veranstaltung zur Zivilklausel am 14.11.2016 am KIT, in der Christoph Marischka von der Informationsstelle Militarisierung e.V. über diese Verflechtungen berichtete.
  • Grundlage: Konzeptionspapier des BMVg „zur Neuordnung der grundfinanzierten Forschung und Technologie im Rüstungsbereich“.
  • An Wissenschaftler-Karrieren kann gezeigt werden, wie der fließende Übergang von ziviler zu militärischer Forschung begünstigt wird.
  • Die Offenlegung soll die Studierendenschaft in die Lage versetzen, die Vorgänge klar bewerten zu können.
  • Zwischenantwort des KIT am 30. Juni mit Dank für die Infos und Daten und dem Hinweis, dass die AStA-Informationen weder für die Öffentlichkeit noch für außenstehende Personen bestimmt sind.

Wie geht es weiter? Am 24. Juli wird ein öffentlicher Gesprächstermin des Studentenparlaments mit dem Präsidium stattfinden.

Org-Problem Zivilklausel-Bewegung

Die bundesweite Zivilklausel-Bewegung hat ein ernstes Problem. Es gibt seit geraumer Zeit keine arbeitsfähige Netzwerkstruktur, die auf ein Büro zugreifen kann. NatWiss wäre geeignet, hat aber bisher keine Möglichkeiten aufgezeigt. Die „Initiative Hochschulen für den Frieden ? Ja zur Zivilklausel!“ hat viel getan, aber abgebaut. Die „Initiative gegen Militärforschung an Universitäten“ ist ebenfalls zu einer bundesweiten Netzwerk-Koordinierung nicht in der Lage. Sorry für diese schnörkellose Ansage. Das Thema sollte dringend angepackt werden.

Ohne Kampf kein Leben

Zum Schluss ein paar grundsätzliche Worte mit historischem Bezug. Käthe Kollwitz hat jetzt 150. Geburtstag. Das bildnerische Schaffen dieser Künstlerin ist fester Teil der modernen europäischen Kunst. Wie Eva Petermann in UZ [10] schreibt, galt ihr Hauptinteresse den Leiden und Kämpfen der Frauen und deren Stärke und Schönheit. In einem Brief von 1943 resümiert die 76-Jährige: „Sei das Leben lang oder kurz – worauf es ankommt ist, dass man seine Fahne hochhält und  seinen  Kampf führt. Denn ohne Kampf ist kein Leben.“

Wir verstehen, was heute „Fahne hochhalten“ bedeutet: Seinen Überzeugungen treu bleiben und dafür Opfer auf sich zu nehmen. »Krieg beginnt hier – Widerstand auch.«

Quellen:

[1] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20170713clh.pdf
[2] http://www.war-starts-here.camp/
[3] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20170423.pdf
[4] http://www.war-starts-here.camp/programm-2/die-workshops/
[5] http://natwiss.de/wp-content/uploads/2017/02/Reader_Freiheit_der_Wissenschaft.pdf
[6] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20170715wd.pdf
[7] http://natwiss.de/wp-content/uploads/2017/02/Gutachten_Hoppe_zu_HBS.pdf
[8] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20130319.pdf
[9] https://www.asta.kit.edu/de/archiv/news/23062017-0031-anfrage-das-kit-pr-sidium-zur-offenlegung-der-verwicklung-milit-rforschung
[10] http://www.unsere-zeit.de/de/4927/kultur/5921